Koeleria cenisia im Saastal?

Seit über hundert Jahren tritt immer wieder die Vermutung auf, Koeleria cenisia existiere im Saastal bei der Kapelle zur Hohen Stiege. Diese Vermutung hat ihren Ursprung in einer Unsicherheit in der Bezeichnung durch den Monographen der Gattung, Karl Domin (1907). Domin und viele weitere Autoren bezeichneten damals diese Art als K. brevifolia (= K. cenisia).

 

Becherer korrigierte bereits 1940 diese Angaben und bezeichnete den Beleg als Koeleria gracilis (heute als K. macrantha bezeichnet).

Koeleria: Kurzblättrige Formen

1 K. cenisia (Mont Cenis)

2 K. macrantha (Zingelstapfu, Saas Grund)

3 K. macrantha (Kapellenweg, Saas)

Extrem kurze Blätter gibt es nicht nur bei K. cenisia, auch viele K. macrantha-Sippen bilden kurze Innovationsblätter aus.

Koeleria cenisia: Merkmale

Hüllspelzen

1 K. cenisia

2. K. macrantha (Zingelstapfu)

3 K. macrantha (Kapellenweg)

Wichtige Merkmale dieser Art wurden bereits abgebildet in www.bio-schmidhol.ch unter Gräser/ Koeleria cenisia. Zusätzliche Merkmale werden hier erwähnt und abgebildet.
Die beiden Hüllspelzen von K. cenisia unterscheiden sich wenig; beide sind breit-eiförmig. Ganz anders diejenigen von K. macrantha: Die untere Hüllspelze ist deutlich schmäler als die obere, breitere Hüllspelze.

K. cenisia: Blattepidermis (abaxial)

C = Costa, IC = Intercosta, SP = Spaltöffnung, SH = Stachelhaar (prickle)

Untere Blattepidermis (abaxial):

Die Rippenbreite (von Costae und Intercostae) schwankt. Stachelhaare (prickles) sind in den Zwischenzonen locker verteilt. Macrohaare fehlen bei Mont Cenis-Exemplaren. Selbst die Kurzzellen der Rippen treten nur locker auf.

Stachelhaare und Kurzzellen (siehe Pfeile)

Koeleria macrantha s.l.: Untere Blattepidermis (abaxial)

Untere Blattepidermis:

C = Costa, IC = Intercosta, SH = Stachelhaar, MH = Macrohaar, KZ = Kurzzelle

K. macrantha s.l. hat signifikant verschiedene Epidermiseigenschaften (im Vergleich zu K. cenisia): Regelmässige Verteilung von Costae und Intercostae; dichte Stachelhaarverteilung; Macrohaare; regelmässig angeordnete Kurzzellen.

Koeleria macrantha (Saas/Mund)

Blütenstände (links Mund VS; rechts Kapellenweg VS)

Untere Epidermis (Kapellenweg, 1650 - 1700 m):

C = Costa, IC = Intercosta, SH = Stachelhaar, MH = Macrohaar, KZ = Kurzzelle

Koeleria macrantha (Zingelstapfu, Saas Grund, ca. 2200 m)

Koeleria-Blütenstände (Zingelstapfu, Saas Grund)

Die Farbe der Blütenstände ist violett-rosa mit zusätzlich grüngelben Teilfarben gewisser Spelzen.
Antheren: Es treten gelbe bis rein dunkelviolette Antheren auf. Zuweilen sind die Antheren gelb und ihre Spitzen dunkel-violett.

Koeleria-Biotop (Zingelstapfu)

Die Koeleria-Bestände finden sich nicht in dichtem Gras, sondern daneben auf felsigen Pionierstellen von kalkhaltigen Bündnerschiefern und sind eher selten. Es ist eine Hochgebirgssippe.

Blattfarben: Grasblaugrün (Kapellenweg); gelegentlich blaugrün (Triftgrätli)

Die Blattfarbe ist grasblaugrün und in einigen Fällen richtig rein blaugrün.

Untere Epidermis (Zingelstapfu, ca. 2200 m):

C = Costa, IC = Intercosta, SP = Spaltöffnung, SH = Stachelhaar, KZ = Kurzzelle

Grundsätzlich ist der Bau der unteren Epidermis bei diesen Hochgebirgsexemplaren gleich wie bei den Exemplaren am Kapellenweg. Viele Exemplare haben aber keine Macrohaare, andere nur teilweise.

Wie ist die Population "Zingelstapfu - Triftgrätli" zu beurteilen?

Merkmale dieser Population:

  • Konstant andere Blütenfarben im Vergleich zu Tieflandsippen
  • Kurze Grundblätter
  • Oft blaugrüne Blätter
  • Antheren gelb bis dunkelviolett
  • Oft ohne (oder viel kürzere) Spreitenhaare
  • Hochgebirgssippe

 

Typisch für Subspecies sind oft Uebergangspopulationen mit intermediären Merkmalen, wahrscheinlich im Entstehen begriffene Arten (siehe Fischer et al.,2005). Karl Domin bemerkte damals: "Koeleria gracilis, die sonst nur selten in das Gebirge emporsteigt, scheint überhaupt in den Süd- und Westalpen mehrere recht auffallende geographische Rassen ausgebildet zu haben".

 

Domin beschrieb bereits damals aus dem Saastal und dem angrenzenden Gebiet (Macugnaga) eine Sippe: Koeleria gracilis var. monticola, darunter auch das Exemplar von der Hohen Stiege. Dieses Exemplar von der Hohen Stiege hat er nachträglich -wahrscheinlich richtigerweise- umbenannt zu Koeleria gracilis var. typica forma montivaga. Dem kann man zustimmen, nicht aber für die Population Zingelstapfu - Triftgrätli. Für diese Population, die durchaus als Subspecies zu bezeichnen ist, trifft dagegen die Diagnose von Domin als "var. monticola" mindestens teilweise zu.

 

Der Vorschlag lautet deshalb:

Koeleria gracilis var. monticola wird unbenannt in

Koeleria macrantha subsp. monticola comb. et stat. nov.

 

Damit wäre eine hübsche Koeleria ins Bewusstsein gehoben und geschützt.

 

Quellen